„Essings Tierleben“
Ausstellung im MEMU Essing
Ansprache zur Midissage mit Katalogpräsentation
Am 5. Juli 2025
Von Barbara Leicht M.A.
Essings Tierleben: Der Titel dieser Ausstellung kapriziert sich auf eine 20.000 Jahre alte Ritzzeichnung aus Essing, die ein Mammut zeigt und das Logo des Memu ziert. Das Mammut ist ausgestorben vor 4.000 Jahren, seine Verwandten sind die indischen und afrikanischen Elefanten, die größten Landsäugetiere der Erde. Heute steht ein großes Artensterben im Fokus unseres Zeitalters.
Und so geht es munter weiter, nichts ist für ewig – Werden, Wachsen und Gedeihen, Leben und Sterben (lassen). Der Mensch tut ein Übriges, so manche Art bis auf ein Minimum zu dezimieren.
Vielleicht liegt es auch in der Natur der Dinge, ist unsere Spezies doch gewaltig angewachsen auf rund acht Milliarden Menschen und der Drang nach Wohlstand, Auto, Urlaub, moderner Technik, das Recht auf Ernährung und Gesundheit, alldem, was die Welt besser und einfacher machen soll, lässt immer weniger Platz für Naturraum und Tiere.
Können Sie sich ein Leben ohne Tiere vorstellen? Nein, würde nicht gehen, die Erde wäre tot. Keine Biene, keine Blume, kein gar nichts.
Kultur und Tiere sind untrennbar miteinander verbunden, waren unter anderem Rinder und Schafe vom Menschen domestiziert, also zu Nutztieren gemacht worden. Sie tragen bis heute einen wesentlichen Teil zur Landwirtschaft und Ernährung des Menschen bei. Hunde als Hüter und Schützer der Herden, Katzen als kleine Jägerinnen von Kleingetier, beide jedoch nahe am Menschen und seit langem seine Freunde.
Nicht nur Hund und Katz, sondern allen Tieren könnte man eigene kunst- und kulturhistorische Ausstellungen widmen, so bedeutend sind sie für die Menschheitsgeschichte. Wie leer wäre unser Leben ohne all die tierischen Begleiter auf der Erde, zu Wasser und in der Luft. Was die Schöpfung über Jahrmillionen hervorbrachte, ist großartig – nichts steht über ihr. Im Gegenteil: Unsere kläglichen Versuche, die Welt durch Knowhow ein wenig besser zu machen, hinterlassen nicht selten Schneisen der Zerstörung. Die Natur ist uns mit ihrem Vermögen weit voraus.
Die Ausstellung zeigt eine formal wie inhaltlich spannenden Einblick in unterschiedlichste künstlerische Sichtweisen auf die Tierwelt. Liebevoll, kritisch, faszinierend und wunderbar zusammengetragen und inszeniert von Harry Meyer, begleitet von einer Katalogbroschüre, an der zahlreiche Autorinnen und Autoren mitarbeiteten.
Eiko Borcherding zeichnet Tiere mit Bleistift auf alten, aneinandergefügten Papieren. Zum Beispiel gestaltet er ein Mischwesen aus Wolf, Hirsch, Greifvogel, Reiher und Reh und drapiert dazu den Faltenwurf eines Ärmels samt blumenhaltender Hand. Die Werke muten historisch an und man meint, das ein oder andere Motiv aus dem großen Schatz der Kunstgeschichte erkennen zu können. Borcherdings Chimären faszinieren nicht allein wegen ihrer Inhalte, sondern auch wegen des zeichnerischen, bald altmeisterlichen Vermögens des Künstlers.
Anke Doberauers frühe, noch aus ihrer Studienzeit stammende veristische Katzenportraits zeigen – caravaggiesk-barock inszeniert vor atmosphärischem Farbgrund – die Vielfalt römischer Straßenkatzen als spezielle Persönlichkeiten wieder. Ein Catwalk, ein Laufsteg, von dem uns die miezigen Models charakteristisch und ernsthaft entgegenblicken.
Stefanie Ehrenfried, eine Bildhauerin, die sich durch handgefilzten Objekte einen Namen gemacht hat. Sie verbindet Tierhaare auf einmalige Weise mit ihrem Tun und lässt unter anderem hybride Fabelwesen, ein Januskopf-Motiv sowie einen ausdruckstarken Frauenkörper samt einer animalischen Fratze entstehen – ästhetisch, eigenwillig und irritierend. Die Künstlerin katapultiert den Betrachter in eine erstaunliche Bildwelt.
Menno Fahl schafft aus allmöglichen Fundstoffen muntere, konstruktive Tierfigurationen, deren einzelne Elemente er verschiedenfarbig akzentuiert. Diesen Materialcollagen haucht der Künstler mit der Vielzahl von Stoffen und einem spontanen wie lockeren malerischen Farbauftrag Leben ein. Ernst ist hier nichts und es darf gerne geschmunzelt werden.,
Die großen Formate der österreichischen Künstlerin Lena Göbel verschlingen den Betrachter mit ihrer enigmatischen Präsenz. Sie collagiert Holzschnitte auf in dunklem Kolorit atmosphärisch bemalte Leinwände und arbeitet so über die Grenze von Bildhauerei und Malerei hinweg. Mensch und Tier – hier der Panter – vereinen sich motivisch in diesen Werken, die letztlich tief in der Tradition der Portraitmalerei verwurzelt sind.
Elke Härtel zeichnet Begegnungen von Mensch und Tier im Perspektivwechsel. Konzentrierte Bilder tief aus ihrem Inneren, gestaltet mit sparsamen Mitteln in hoher zeichnerischer Intensität. Das unwägbare Moment im Aufeinandertreffen beider Lebewesen trägt latent die Phobie des Menschen vor ungewohnten Reaktionen von Tieren in sich.
Libellen oversized: Sie überfliegen die Werke von Georg Kleber. Die Hautflügler sind ständig in Bewegung und der Künstler zeigt quasi Stills aus dem Lebensfilm dieses faszinierenden Insekts mit schwarzer Acrylfarbe, Kohle und wenig weißen Setzungen auf hellem Filz. Mehr braucht es nicht, um das räuberische Insekt gekonnt zu charakterisieren.
Michael Königer ärgert es, wie Mensch mit seinen gefiederten Gefährten umgeht und er sie achtlos verunfallt im Straßengraben ihrem Schicksal überlässt. Dies meißelt er in Stein, setzt dem jämmerlichen Vogelkadaver Denkmale und zeigt mit dieser Werkgruppe den bisherigen Höhepunkt seines Schaffens. Die Geschwindigkeit unserer heutigen Mobilität übersetzt er in skurrile Gefährte für die Ewigkeit und schafft inhaltlich wie formal authentische Werke in ausgefallener Erscheinung.
Das Eigenleuchten der Tusche und symbolhafte Tiergestalten charakterisieren die Magie von Gosia Machons Gemälden. Das Tier vereinzelt und reduziert auf seine wesentlichen Merkmale, bald archaisch anmutend aufgefasst, vermittelt anhand seiner Größe eine besondere Welt unaufgeregter innerer Bilder.
Auf transparente Weise lässt Christa Näher Tiere zum Bild werden. Es entstehen auratische, visionäre Motive, die auf die Erinnerung und das Wissen des Betrachters rückgreifen, jedoch eine innere Welt der Wirklichkeit materialisieren. Hunde, Pferde, Mischwesen zeigen sich vor farbstarkem Hintergrund und vermitteln eine tiefe Verbundenheit der Künstlerin mit der Tierwelt.
Zipora Rafaelovs diffizile Cutouts entführen in ein hochakkurates Geflecht feiner Linien. Im weißen Papier, dem duftigen Werkstoff, fasst die Künstlerin Tier und Natur als Ornament auf. Dort hebt sie in einigen Partien das Papier vom Untergrund ab und holt die dritte Dimension ihre phantasie- und formenreichen Welt, in der sich stets Neues wahrnehmen lässt.
Pfoten, Schnauzen, Fell und Haut, aber auch Krallen und scharfe Zähne haben es ihr angetan: Maria Rucker extrahiert Körperteile verschiedener Tiere und hält sie in Stein fest. Sie erarbeitet spannende Wandstücke und Objekte in geschlossener Form, akkurat und artgerecht auf den Punkt gebracht. Für den Betrachter, wen er mag, schön zu rätseln, was zu welchem Tier gehört. Schön anzusehen sind die Werke allemal.
In Lothar Serusets keramischen Plastiken emulgieren Mensch und Tier auf besondere Weise. Symbolhaft und metaphorisch durchdrungen, zeigen die Figurationen eine unabdingbare Abhängigkeit von Tier und Mensch und Mensch und Tier in surrealer Anmutung.
Kurz vor Christi Geburt schreibt Dichter und Epiker Vergil in seinem Georgicon über die abends zum stock heimkehrenden Bienen:
„Wird ein rauschender Ton, umschwirren sie Schwellen und Pforten.“
Die Biene steht im Zentrum von Jeanette Zippels Schaffen und mehr als intensiv beschäftigt sich die Künstlerin mit Bewegungsformen und Wabenbau als Ausdruck der sozialen Struktur dieser für Natur und Mensch als Bestäuberinnen und Sammlerinnen so wichtigen Tiere. In den großformatigen Zeichnungen zoomt sie die schnelle Frequenz des Flügelschlags der Immen heran, die plastischen kugelförmigen Objekte frei gestaltet aus Bienenwachs: Optisch und haptisch wie olfaktorisch erlebbar.